Der Aderlass und seine Anwendungsgebiete

Der Aderlass ist als medizinische Therapie seit Jahrhunderten bekannt. Allerdings wurde die Behandlung während des Mittelalters dermaßen exzessiv angewendet, dass sie in Verruf kam. Viele naturheilkundliche Praxen besinnen sich aber wieder auf die Heilmethode und wenden sie zur Umstimmung des Patienten und zur Ausleitung bei einer Reihe von Krankheiten an.

Im wesentlichen kennt man zwei Arten der Durchführung der Behandlung: den Hildegard-Aderlass und den Volumen-Aderlass. Letzterer dient als Ausleitungsverfahren, der Aderlass nach Hildegard ist eine Methode zur Umstimmung, welche den Organismus wieder in sein Gleichgewicht zurückführen soll.

Die Wirkung auf dem Organismus

Die Konstitution des Blutes, besonders seine Fließeigenschaften, führen zu einer Reihe von Krankheiten oder beeinflussen sie wesentlich. Zähflüssiges Blut ist ein Symptom für Erkrankungen und in anderen Fällen auch deren Folge, was sich auf die Gesundheit und mindestens auf die Befindlichkeit des Patienten auswirkt. Deshalb wird dem Körper eine bestimmte Blutmenge entnommen, um zu entstauen und eine Neubildung des Blutes anzuregen. Den durch das Verfahren entstehenden Flüssigkeitsverlust gleicht der Organismus selber wieder aus. Eiweißarmes Exsudat strömt aus den Zwischenräumen der Zellen nach.

Damit ergibt sich eine Blutverdünnung mit gesenktem Hämatokritwert, der den Anteil roter Blutkörperchen im Blut angibt. Die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, finden damit weniger Widerstand und ihre Bewegung fällt leichter, der Blutfluss wird verbessert. Damit werden aber auch die schlecht durchbluteten Areale besser mit Blut versorgt. Der Aderlass lindert somit Entzündungen und leitet die schädlichen Stoffe und Ablagerungen aus dem Organismus heraus. Zusätzlich ergibt sich ein beruhigender Effekt mit krampflösender und schmerzlindernder Wirkung.

Der Volumen-Aderlass

Die zu entnehmende Blutmenge bestimmt sich durch mehrere Faktoren. Das Alter des Patienten ist wesentlich, ebenso die Blutdruckwerte und das Hämatokrit. Etwa monatlich oder zwölfmal in einem Jahr wird die Behandlung normalerweise durchgeführt.

Der Aderlass kommt aber auch häufiger zur Anwendung. Bei erhöhter Aufnahme von Eisen im Dünndarm, der Hämochromatose, empfiehlt sich sogar die Durchführung einmal wöchentlich, um das Zeitintervall anschließend allmählich zu verlängern. Häufig erfolgt die Blutreduktion dann monatlich bis zu viermal pro Jahr. Begleitend misst man regelmäßig den Blutdruck und kontrolliert die Hämatokrit-Werte.

Vorgehensweise

Ein Arzt oder auch ein Heilpraktiker kann den Aderlass durchführen. Der Volumenaderlass wird so durchgeführt, dass der Mediziner mit der Hohlnadel in der Armbeuge seines Patienten eine der oberflächlichen Venen punktiert. Ungefähr 500 Milliliter Blut werden dann abgenommen. Spezielle Glasflaschen finden Verwendung, um das entnommene Blut auf hygienische Weise aufzufangen. Die Glasflaschen arbeiten mit Unterdruck.

Der Aderlass nach Hildegard

Für ihre Methode des Aderlasses orientiert sich Hildegard an den Phasen des Mondes. Die Behandlung führt sie vom ersten bis zum fünften Tag nach Vollmond durch. Zwischen 150 und 180 Milliliter Blut werden insgesamt abgenommen. Auch hier wird wieder eine Punktierung einer oberflächlichen Vene durchgeführt und wieder mit einer Hohlnadel. Die Blutabnahme erfolgt so lange, bis die dunkelrote Färbung des Blutes nachlässt und es nunmehr hellrot erscheint. Für weitere Diagnosen kann das entnommene Blut untersucht werden.

Der Patient sollte bei der Behandlung nüchtern ein, denn die zuvor eingenommene Nahrung kann die Blutwerte beeinflussen. Nach einem Aderlass sollte man Diät halten, nämlich die Hildegard-Diät. Eine der Vorschriften lautet, im Anschluss an die Therapie drei Tage lang nichts Gebratenes zu essen. Zusätzlich empfiehlt Hildegard, die erste Mahlzeit eines Tages sollte warm zubereitet sein. Häufig kombiniert man den Hildegard-Aderlass mit dem Schröpfen, einer anderen weit verbreiteten Therapie zur Entgiftung des Organismus.

Anwendungsbereiche für Aderlässe

Beide Therapieformen werden bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen zur Therapie eingesetzt. Bei den sogenannten vollblütigen oder plethorischen Patienten wendet man häufig den Volumen-Aderlass an. Typisch ist hier ein übergewichtiger Patient, der unter Bluthochdruck leidet.

Diverse Arten von Durchblutungsstörungen oder Symptomen, die auf Herz-Kreislauf-Probleme hinweisen, werden mit dem Verfahren behandelt. Dazu gehört die übermäßige Bildung roter Blutkörperchen (Polyglobulie) mit steigendem Hämatokrit. Die Hyperlipidämie ist hier zu nennen, also die erhöhten Blutfette. Kopfschmerzen und im Kopf vorhandene Durchblutungsstörungen sind ebenfalls durch einen Aderlass behandelbar sowie der Tinnitus.

Auch eine Reihe anderer Beschwerden lässt den Mediziner einen Aderlass in Erwägung ziehen. Die Adipositas sei genannt, als Fettleibigkeit bekannt, und auch die Atemnot oder Kurzatmigkeit (Dyspnoe) gehört hierher, ebenso Stauungen im Lungenkreislauf, von einer Linksherzinsuffizienz verursacht. Sie führen zu einer Atemnot, die unter der Bezeichnung Asthma cardiale bekannt ist.

Stoffwechsel- und Zivilisationskrankheiten

Schwindel, Nasenbluten, Rheuma, Gicht, Hautkrankheiten sind zu nennen, aber auch die Hämochromathose, nämlich Ablagerungen von Eisen durch einen erhöhten Eisenanteil im Blut und der Diabetes mellitus als typische Zivilisationskrankheit. Mit Aderlässen kann zudem Schlaganfällen und einem Herzinfarkt vorgebeugt werden, besonders wenn Risikofaktoren wie der Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen festgestellt werden.

Der Aderlass ist auch in Therapien zur Herz-Kreislauf-Behandlung eingebunden. Bereits im 18. Jahrhundert behandelte man die beginnende Herzinsuffizienz („aktive Aneurismen des Herzens“) mit dem Zuraderlassen. Aktuell wendet man die hydraulikbasierten Therapiekonzepte weiterhin an. Mit einer Minderung des Blutvolumens senkt sich der Blutdruck, damit wird die Ausbildung der Herzinsuffizienz verhindert.

Durch den bei der Therapie entstehenden Blutverlust gibt es Ausnahmen, bei denen die Behandlung nicht durchgeführt werden darf. Bei einer Blutarmut (Anämie) oder einem allgemein geschwächten Organismus ist von einem Aderlass abzusehen. Gleiches gilt bei der Herzenge (Angina pectoris), bei Dehydrierung, einem akuten Durchfall und einem fieberhaften Infekt.