Wenn jemand von sich aus Vitamine und Mineralstoffe als Nahrungsergänzung einnimmt, ist das oft nicht sinnvoll. Es geschieht nicht gezielt genug. Die Orthomolekular-Medizin ist mehr als das. Sie liegt im Mittelfeld zwischen den Erkenntnissen und Behandlungsmethoden der Ernährungswissenschaft und den medizinischen Medikamenten und Therapie-Konzepten.
Was ist orthomolekulare Medizin?
Als Initiator und “Inspirator” für die Orthomolekular-Medizin gilt der amerikanische Biochemiker Linus Carl Pauling (1901-1994). Pauling erhielt 1954 den Chemie-Nobelpreis, 1963 den Friedensnobelpreis. 1968 entwickelte der zweifache Nobelpreisträger die Idee einer orthomolekularen Medizin.
Pauling ging es dabei um den Gesunderhalt und die Therapie von Erkrankungen mittels gezielt zusammengestellter Nährstoffe. Diese sollten dem Organismus mangelnde und in zu geringen Mengen vorhandene Nährstoffe zuführen. Zum anderen sollten orthomolekular behandelnde Mediziner den Nährstoffstatus ihrer Patienten aus einem eigenen Blickwinkel betrachten.
Pauling zufolge wurden und werden viele offizielle Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr nicht individuell oder bedarfsgerecht berechnet. Sie sind außerdem nicht auf bestimmte Erkrankungssituationen zu beziehen. Da Menschen aber Individuen sind, ist ihr Nährstoffbedarf in bestimmten Lebensabschnitten oder bei bestimmten Erkrankungen ebenso individuell. Somit ist die Orthomolekular-Medizin sowohl präventiv, als auch kurativ zu verstehen.
Zu den Grundannahmen dieser medizinischen Richtung gehört, dass die Menge, Qualität und Zusammenstellung der benötigten Nährstoffe meistens nicht stimmig ist. Es ist für einen medizinischen Laien praktisch unmöglich, den individuellen Nährstoffbedarf zu erkennen und komplett abzudecken. Manche Nährstoffe werden im Übermaß zugeführt, andere in zu geringen Mengen. Manche haben keine gute Bioverfügbarkeit, andere aber schon. Im Fall einer Erkrankung ist der erhöhte Nährstoffverbrauch für Laien ebenso wenig erkennbar, wie der Nährstoffbedarf, der zur Heilung beitragen kann.
Welche Nährstoffe verwendet die orthomolekulare Medizin?
Es handelt sich dabei um Makro- und Mikronährstoffe. Zu den ersteren gehören die Proteine, die Kohlenhydrate und die Nahrungsfette. Ohne die Unterstützung von Mikronährstoffen können solche Makronährstoffe aber nicht verwertet werden.
Mikronährstoffe sind die Vitamine A, B, C, D, E und K, Mineralstoffe wie Kalzium oder Magnesium, sowie Spurenelemente wie Zink, Eisen oder Selen. Außerdem reihen sich hier auch die sekundären Pflanzenstoffe – beispielsweise die Carotinoide oder Flavonoide – die essenziellen Fettsäuren – zum Beispiel Omega-Fettsäuren – und die in Proteinen enthaltenen Aminosäuren ein. Letztere sind jedem als wichtigste “Bausteine des Lebens” bekannt. Auch Enzyme sind in diesem Sinne Mikronährstoffe.
Mikronährstoffe liefern keine Kalorien. Sie haben antioxidative Funktionen, initiieren Enzymreaktionen oder dienen der Herstellung von Makromolekülen. Obwohl Mikronährstoffe nur in geringen Mengen notwendig sind, ist ein Überleben bei anhaltendem Mangel eines oder mehrere Mikronährstoffe nicht möglich. Liegen Mikronährstoffe mit der notwendigen Bioverfügbarkeit und nicht im korrekten Verhältnis zueinander vor, kommt es zu Nährstoffdefiziten und Erkrankungen.
Wie entstehen Defizite im Nährstoffhaushalt?
Nährstoffdefizite können auf verschiedene Weise entstehen. Sie werden
- durch den bevorzugten Verzehr stark verarbeiteter Nahrungsmittel
- durch schlechter Bioverfügbarkeit
- durch Resorptionsstörungen im Darm
- durch Ungleichgewichten von Nährstoffen in der Nahrung
- bei erhöhtem Nährstoff-Verbrauch, der nicht ausgeglichen wird
- durch falsche Lagerung und Zubereitung von Lebensmitteln
- durch anhaltenden Alkohol- oder Medikamenten-Missbrauch
- durch überhöhte Koffeinzufuhr
- bei Mehrverbrauch durch diverse Erkrankungen
- bei Stress
- oder durch Leistungssport
begünstigt.
Wie sich Nährstoffmängel auswirken
Durch einen dauerhaften Nährstoffmangel entstehen biochemische Dysbalancen. Meist weisen nur unspezifische Symptome auf solche Ungleichgewichte hin. Die Symptome betreffen den Stoffwechsel, das Zellwachstum oder das Immunsystem. Typische Hinweise auf Nährstoffdefizite können Müdigkeit und Energiemangel oder vermehrte Infektanfälligkeit sein. Nährstoffmängel bleiben häufig lange unentdeckt. Ihre Anzeiger werden meist auf andere Ursachen geschoben.
Wie arbeitet die Orthomolekular-Medizin?
Nährstoffdefizite bedürfen einer sorgfältigen Diagnostik. Zunächst müssen Blut- und Blutserum-Untersuchungen sowie eine Urin-Untersuchung vorgenommen werden. Durch einige Messverfahren kann ein Zusammenhang zwischen bestimmten Erkrankungen und einem Mangel an Spurenelementen aufgedeckt werden. Problematisch ist, dass diese Testmethoden fehleranfällig sind. Testergebnisse können durch bestimmte Medikamente und andere Störfaktoren verfälscht werden.
Die Zufuhr orthomolekularer Stoffe kann oral in flüssiger, Tabletten- oder Kapselform erfolgen. Effektiver sind Infusionen oder Injektionen mit Nährstofflösungen. Diese umgehen die Resorptionsbarriere im Darm. Im Blut ist daher eine höhere Nährstoffdichte anzutreffen. Die Infusions- oder Injektions-Behandlung obliegt einem ausgebildeten Orthomolekular-Mediziner oder einem Heilpraktiker.
Diese Vorsichtsmaßnahme wird durch die teilweise sehr hohen Nährstoffdosen notwendig. Die hohe Wirkstoffdichte soll einen schneller eintretenden therapeutischen Nutzen bewirken. Die Dosis wird individuell bemessen. Moderne orthomolekulare Nahrungsergänzungs-Mitteln mit sinnvollen Nährstoffkombinationen sind außerdem erhältlich. Dadurch wird eine Selbstbehandlung ermöglicht.
Einsatzgebiete der Orthomolekular-Medizin
Die orthomolekulare Medizin kommt sowohl präventiv als kurativ zum Einsatz. Sie kann unterstützend und begleitend bei chronischen sowie bei akuten Krankheitsbildern genutzt werden. Am häufigsten findet die Orthomolekular-Medizin Anwendung bei
- allgemeinen bzw. ernährungsbedingten Nährstoffdefiziten
- einem altersbedingt höheren Nährstoffbedarf
- einem schwangerschaftsbedingt höheren Nährstoffbedarf
- einem krankheitsbedingt höheren Nährstoffbedarf (Diabetes, Stoffwechselprobleme, Darmerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen)
- Infektionserkrankungen mit höheren Nährstoffbedarf
- der Ausleitung von Schwermetallbelastungen (Amalgam)
- immunologischen Defiziten und Immunschwächen
- Erkrankungen des Verdauungssystems
- sowie Rheuma oder Arteriosklerose.